Erster schwarzer Polizist Ostdeutschlands – Ex-Polizist und Ex-Bankräuber Samuel Meffire: Ein Leben für zwei, mindestens
Samuel Meffire war der erste schwarze Polizist Ostdeutschlands und Werbegesicht für Sachsen. Dann geriet er ins Rotlicht-Milieu, raubte und erpresste, kam ins Gefängnis. Fast 30 Jahre ist das jetzt her. Bis heute sucht er die Bruchkanten des Lebens.
Samuel Meffire kommt nicht mehr oft nach Dresden. Er ist nur noch selten in der Stadt, in der seine Mutter ihn verprügelt hat und Neonazis auf ihn geschossen haben, in der er erst Star-Polizist und dann Bankräuber war. Wenn er mal da sei, sagt Meffire, dann sei er fasziniert davon, was sich in Dresden alles verändert habe. „Ich wünschte mir“, sagt er, „dass mit der äußeren Sanierung auch innere Heilung einhergehen würde.“
Keine zwei Minuten ist das Gespräch bei diesem Satz alt und schon ist der Versuch gescheitert, in das übergroße Leben des Samuel Njankouo Meffire klein und harmlos einzusteigen („Wie oft sind Sie denn noch so in Dresden?“). Heilung also. Meffire meint die Stadt, er meint das ganze Land, er meint immer auch ein bisschen sich selbst. In seinem Leben kreuzen sich die Schicksale von DDR-Einwanderern mit allem Guten und Schlechten der politischen Wende. Es vermischen sich Rassismus und Hass, fatale Entscheidungen und die Hoffnung auf so etwas wie Gerechtigkeit zu der Geschichte eines Mannes, der heute froh darüber ist, überhaupt noch am Leben zu sein.
„Ich, ein Sachse“, heißt die Autobiografie von Samuel Meffire, die dieser Tage erscheint und der Grund ist für den Spaziergang durch Dresden. Es ist ein Frühlingstag, die Sonne wärmt Luft und Gemüt, Meffire ist ein bisschen platt. Seit vier Tagen gibt er Interviews, posiert für Fotos, ist leicht genervt von Fragen zu Rassismus in der DDR (wir kommen trotzdem noch darauf zu sprechen). Neben seinem Buch erscheint Ende April eine Serie, für die Disney sein Leben verfilmt hat. Den Rummel um seine Person kennt Meffire schon – er erlebt ihn zum dritten Mal.
Sachsens Ex-Innenminister Eggert macht Meffire zum Polizei-Star
Die erste Runde begann in den frühen Neunzigern mit einer Plakatkampagne der „Sächsischen Zeitung“. Meffire, Anfang 20 und Kriminalbeamter, wurde bekannt und Sachsens damaliger Innenminister Heinz Eggert (CDU) erhob ihn zum Vorzeigepolizisten. Meffire saß in Talkshows, war der Gegenentwurf zu den Ostdeutschen, die in Rostock und Hoyerswerda Ausländer hetzten. Doch bald fiel er tief, ins Dresdner Rotlicht-Milieu, raubte, prügelte, drohte. Meffire floh in den Kongo, wurde ausgeliefert. Sieben Jahre saß er im Gefängnis, inzwischen lebt er in Bonn. „Über mich wurde so vieles geschrieben, was nicht stimmt“, sagt Meffire. Dieses Mal, bei Rummel-Runde drei, will er seine Geschichte selbst erzählen.
Dresden-Johannstadt. Vieles ist heute beschaulich hier, die alten Villen, das Elbufer. Das Leben des jungen Samuel Meffire in den Siebziger, Achtziger Jahren ist es nicht. Meffires Vater kam aus Kamerun zum Studieren in die DDR. 1970 starb er unter ungeklärten Umständen, am Tag von Meffires Geburt. Seine Mutter lebte fortan mit ihm und seinem älteren Bruder allein in einem der Johannstädter Hochhäuser. „Sie hatte mit ihren eigenen Dämonen zu kämpfen“, sagt Meffire in jenem poetischen Plüsch, in den er das Schreckliche manchmal verpackt. Aber – als brauche es einen Beweis, dass in Meffires Leben vieles nebeneinander existiert, was in mindestens zwei verschiedene Leben sortiert gehörte – sagt er gleichzeitig solche Dinge: „Das Einzige, was meine Mutter mit meinem Bruder und mir nicht gemacht hat, ist, uns tot zu prügeln.“
Der Spaziergang im Frühjahr 2023 führt vorbei an der Dresdner Semperoper. Ein kurzer Witz über eine bekannte Bierwerbung, aber unverfänglicher wird das Gespräch trotzdem nicht. Meffire sagt: „In Dresden zeigt sich, dass viele Menschen in das, was gerade läuft, kein Vertrauen mehr haben.“ Er lässt den Satz kurz so stehen, hier auf diesem Platz, einem der Aufmarschgebiete von Pegida. „Das erinnert mich sehr stark an die letzten Jahre der DDR.“
Damals sei auch so getan worden, als wäre alles bestens, obwohl der wirtschaftliche Zusammenbruch kurz bevorstand. Aber – kurzer Einwand – ist die Welt heute nicht voll mit schlechten Nachrichten, mit Krisenbeschreibungen? Meffire findet, über das Eigentliche werde zu wenig gesprochen. Nach dem Gefängnis hat er 20 Jahre lang in der intensivpädagogischen Jugendhilfe gearbeitet. „Ich hatte es wirklich mit den Schwierigen der Schwierigen zu tun“, sagt er. „Und ich sehe ja, dass der Abgrund an der sozialen Bruchkante tiefer wird.“
Samuel Meffire spricht mit warmer Stimme, aber was er sagt, ist oft hart, unerbittlich, düster. Hätte einer wie er zu einer anderen Erkenntnis kommen können, zu einem anderen Blick auf die Welt?
Rassismus in der DDR? – „Ohne militante Fratze“
Meffires Eltern waren überzeugte Sozialisten. Für ihn selbst ist der Sozialismus nach wie vor eine erstrebenswerte Utopie. „Also eine Gesellschaft, in der alle sozial ähnlich sind“, sagt er. Für den jungen Meffire, der Maurer lernt, sich mit Gelegenheitsjobs durchschlägt, ist die Wiedervereinigung ein Schock. „Ich wollte, dass sich die DDR in etwas Buntes, Liebevolles wandelt.“ Abgrenzung gegen ihn, den Mann mit der schwarzen Haut, habe es auch vor dem Mauerfall gegeben. „Aber ohne diese militante Fratze“, sagt Meffire. Es sei etwas gewesen, dass er für sich selbst nie als existenzbedrohend wahrgenommen habe. Dann, Anfang der Neunziger, wird er von Neonazis bis vor seine Wohnungstür gejagt, sie schießen mit Leuchtmunition auf ihn. Später stoßen genau diese Rechtsradikalen einen Mosambikaner aus einer fahrenden Straßenbahn, der Mann stirbt.
In den Wendewirren kommt Meffire zur Kriminalpolizei. Er wollte, erzählt er, jener Polizist werden, von dem er sich in seiner Kindheit manchmal naiv gewünscht habe, so einer müsse kommen – und dann habe ihn seine Mama wieder lieb. „Und“, sagt Meffire, „ich konnte mich nicht aus der Verantwortung nehmen.“ Die Gewalt auf den Straßen, die Ratlosigkeit überall, der Hass gegen ihn als schwarzen Menschen – „ich dachte, wenn wir das jetzt nicht gestoppt kriegen, dann bekommen wir es nie gestoppt.“
Auf dem Spaziergang durch Dresden biegt Meffire jetzt in der Innenstadt Richtung Polizeidirektion ab. In seinen knapp vier Jahren als Beamter war hier seine Dienststelle. Meffire zeigt auf die Einfahrt, ein Elektro-Polizeiauto passiert die Schranke, als müsse es bezeugen, dass zwischen 1994 und 2023 Jahrzehnte liegen.
„Hier sind wir rein und rausgeflogen zu unseren Einsätzen, da war viel Schlimmes dabei“, sagt Meffire. Bald ist er als Polizist frustriert. Von der Bürokratie, von den Kollegen. Es geht ihm zu langsam, zu wenig um Gerechtigkeit und zu viel um Recht und Gesetz. Er quittiert den Dienst, gründet eine Sicherheitsfirma, will selbst für Gerechtigkeit sorgen. Aber es läuft nicht. Meffire freundet sich mit Dresdens Rotlicht-König an. Schleichend gerät er in dessen Welt, regelt für ihn erst ein paar Inkasso-Sachen. Dann überfällt Meffire einen Nachtclub, eine Bank, ein älteres Ehepaar. Mit Sonnenbrille und Basecap sitzt er 1996 vor Gericht, packt aus, seine erste Lebensbeichte. Fast zehn Jahre Gefängnis bekommt er, sieben sitzt er ab.
Wäre alles anders gekommen, ohne die Werbekampagne, ohne Heinz Eggert? Die Kampagne hält Meffire bis heute für „phänomenal intelligent, zur richtigen Zeit am richtigen Ort“. Sie sei halt nur nicht von seiner Person zu lösen. „Und durch meinen Absturz war sie natürlich eine katastrophale Steilvorlage für alle, die sowieso den Hassphilosophien anhängen“, sagt er. Aber Plakat hin, Plakat her – „ich wäre auch so der Sohn meiner Mutter gewesen, der Sohn meiner Zeit“, sagt Meffire.
Er sieht sein Leben so: Die Demütigungen und Schläge der Mutter auf der einen und deren Hingabe an den Sozialismus auf der anderen Seite legen den Grundstein für alles, was dann kam. „Es wäre so oder so mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit zu einem Bruch gekommen. Zu einem Unfall oder, was noch näher liegend ist, zum Suizid.“ Schlimm sei nur, dass der Bruch, der dann kam, „dass mein Amoklauf nicht nur mich allein betraf“. Meffire will nicht so verstanden werden, als habe ihn das Schicksal getrieben, in die Postbank, zu dem alten Ehepaar, in den Kongo. „Jeder kann in meinem Buch lesen, dass ich mich nicht in rosarotem Licht darstelle“, sagt er, „sondern kritisch bin, auch mit der eigenen Verantwortung.“
Für ein Foto hält Meffire jetzt dieses Buch, seine Autobiografie, in den Händen, er sieht dabei aus wie ein Priester. „Ein Sachse“ steht auf dem Titel, so wie damals auf dem Plakat, das ihn berühmt gemacht hat. Stimmt das überhaupt noch – Sam, der Sachse? Er sei ein Sachse im glücklichen Exil, sagt Meffire. Sachsen, das sei der Ort, wo er sich mit Fug und Recht hinstellen dürfe und sagen: „Das ist meine Heimat. Weil ich hier geboren bin, weil ich hier gelebt habe.“